Die MS ASTOR lag vor der ersten Schleuse in Warteposition. Links von uns ging hinter dem dichten Wald langsam die Sonne auf und überflutete das dunkle Wasser des Atlantiks mit rot goldenem Licht. Gespannt blickten wir nach vorne.
Der Bug war ausgerichtet auf eine äußerst schmale, gemauerte Wasserrinne mit einem riesigen Tor am Ende. Wir sahen uns an. „Und wo ist der Panamakanal? Diese mickrige Rinne dort vor uns konnte ja wohl nicht der berühmte Panamakanal sein? Ich war maßlos enttäuscht. Den hatte ich mir aber ganz anders vorgestellt: riesig, gigantisch, überwältigend.
Rechts und links von den Kanalmauern verliefen Schienen auf eine Anhöhe hinauf. Kleine Treidelloks, so genannte Mulis, sausten agil die Steigerungen auf und ab. Sie schienen die passierenden Schiffe mit dicken Kabeln durch die Schleusen zu ziehen, oder sie einfach nur gerade in der Bahn zu halten, damit sie nirgendwo anschrammen konnten.
Arbeiter wimmelten und rannten dazwischen und schrien. Links von uns war noch eine identische Rinne. Die konnte ich aber nicht gleich als solche erkennen, weil ein hochhaushohes Containerschiff das ganze „Ding“ ausfüllte. Wir verrenkten uns den Hals, um hoch auf die obersten Container hoch sehen zu können. Steckte dieses gewaltige Schiff etwa auch in dem bisschen Wasser, eingepfercht in Mauern?
Ein Lotse kam an Bord, und die MS ASTOR wurde verkabelt. Wir waren ja äußerst skeptisch, aber andererseits, wenn die Reederei ein Jahr vorher die Passage bucht und dafür 130.000 US$ bezahlt, dann wissen sie ja wohl, was sie tun…
Wir alle schauten, fotografierten und lauschten gleichzeitig der Stimme aus dem Lautsprecher, die uns von der Vita des Kanals erzählte:
Früher, das ist wohl allgemein bekannt, mussten die Schiffe immer um Kap Hoorn herum, wenn sie von Westen nach Osten oder umgekehrt wollten. Der Handel mit China z.B. wurde erschwert, weil der Weg zum Atlantik ewig weit war.
Deshalb entstand schon sehr früh im 16. Jahrhundert die Idee, (an der auch Karl V beteiligt war!), dem Dschungel eine Passage zwischen Atlantik und Pazifik abzugewinnen.
Es dauerte noch bis 1881, ehe die Vision begann, Wirklichkeit zu werden.
Die erste Phase dauerte ganze 8 Jahre, dann waren so viele Arbeiter gestorben, dass das Projekt gestoppt werden musste. Niemand hatte so richtig das Klima bedacht, den Urwald, durch den der Weg gehauen werden musste. Und so starben in dieser Zeit 22.000 Arbeiter an Gelbfieber und Malaria. Keiner wusste, wie man den tödlichen Krankheiten beikommen konnte. Französische Ärzte rieten den Arbeitern, die Pfosten ihrer Betten in Wasserkübel zu stellen. Aber das erwies sich als der Anfang des endgültigen Endes: Die Malariamücken konnten ihr Glück gar nicht fassen über diese komfortablen, neuen Brutstätten, vermehrten sich um ein Vielfaches und töteten um ein Vielfaches. Der Bau musste abgebrochen werden.
Die zweite Bauphase begann nach etlichem politischen Hickhack und tausend Schwierigkeiten erst wieder im Jahre 1894 und dauerte rund 20 Jahre.
Am 15. August 1914 passierte das erste Schiff den neuen Kanal mit seinen drei Schleusen zwischen Atlantik und Pazifik. Die offizielle Eröffnung erfolgte aber erst im Jahre 1920.
Auf gut 81 Kilometer Länge zwischen Colon auf der Atlantikseite und Panama-City am Pazifik wurde ausgehoben, gebaut, aufgestaut und geflutet.
Eigentlich liegt der Wasserspiegel des Pazifiks am anderen Ende nur 24 Zentimeter höher als der des Atlantiks, aber- es galt auch, die kontinentale Wasserscheide zu überwinden. Also wurde der Wasserspiegel durch Schleusen um 26 Meter auf Niveau des Gatunsees angehoben.
Zentimeter um Zentimeter schob sich die MS ASTOR vorwärts, immer haarscharf an den rauen Mauern entlang, ohne sie zu touchieren. Kapitän Alexander Golubev und seine Leute schienen das nicht zum ersten Mal zu machen. Neben uns das riesige Containerschiff, weit vor uns, schon auf offenerem Wasser ein anderes Passagierschiff, das wir vorher wegen der geschlossenen Schleusentore gar nicht gesehen hatten.
Als wir endlich nach 1 ½ Stunden die Klaustrophobie verursachende Wasserröhre mit ihren 25 Meter hohen Schleusentoren hinter uns gelassen hatten, konnte ich aufatmen. Eine breite Fahrrinne, keine Enge mehr, Albatrosse und dichter Urwald.
Gegen halb zwei erreichten wir die nächste Schleuse, die Pedro-Miguel. Hier ging es schnell weiter, und gut eine Stunde später kamen wir schon an der Mira Flores-Schleuse an. Bis hierhin waren die Schiffe um gut 9 Meter abgesenkt worden.
Die Schleusen hier schienen beliebte Ausflugsziele zu sein. Winkende, rufende Menschen an Land ebenso wie an Bord der vorbeiziehenden Schiffe.
Nach etwa acht Stunden hatten wir es geschafft, links von uns, gar nicht so schrecklich weit weg, aber trotzdem fast unsichtbar für uns auf dem Wasser, lag Panama-City.
Wir hatten den Pazifik erreicht.
Weithin sichtbar vor uns, wie ein gigantisches Tor zum Pazifik, spannt sich die Amerika-Brücke über den Kanal: Puerte de las Américas. Sie verbindet hoch oben die beiden Kontinente, die der Panamakanal unten trennt.
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