Rund fünfundzwanzig Jahre hat es gedauert, bis ich meinen Traum von Cornwall verwirklichen konnte. Die „Muschelsucher“ von Pilcher hatten mich infiziert.
Unsere englische Tochter hatte ein Cottage gebucht in Port Gaverne, einem winzigen Hafen mit einem Hotel/Pub und einer Handvoll Häuser. Abends um acht Uhr erreichten wir unser Ziel. Sagte jedenfalls das Navi. Denn sehen konnten wir nichts. Dichte, weiße Watte hatte das Land komplett verschluckt.
Schon früh am nächsten Morgen weckte uns das Gekreisch der Möwen. Ich konnte es gar nicht abwarten, raus zu kommen. Am ersten Tag wollten wir nur rüber nach Port Isaac laufen, schön piano, wie es sich gehört für alte Leute mit Rücken und Arthrosebaustellen an allen wichtigen Körperteilen. Unsere Tochter hatte uns vorsichtshalber Walking-Stöcke besorgt, denn – in Cornwall geht es bergauf und bergab, über Stock und Stein.
Wir waren gespannt auf die Bucht von Port Isaac. Hier war der herrliche Film „Saving Grace“ /Grasgeflüster mit Brenda Blethyn gedreht worden.
Wir machten uns auf den Weg. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel, das Wasser zwischen den wild zerklüfteten Felsen schimmerte smaragdgrün und tiefblau und rundherum, soweit das Auge reichte, sattes Grün von Bäumen und Sträuchern. Dazwischen blühten Blumen in allen Farben.
Der erste Eindruck: traumhaft schön. So hatte ich mir Cornwall erhofft.
Die Straßen allerdings machten mir Angst. Selbst unsere Feldwege hier sind breiter. Man kann nicht mal links fahren, weil es nur eine schmale Mitte gibt, die rechts und links von hohen Böschungen, Fels oder Hecken begrenzt wird. Und wenn man Pech hat und findet sich plötzlich in einer der tausend Haarnadelkurven Nase an Nase mit einem Bus, tja, dann muss man halt seine Nerven bündeln, die Luft anhalten und schön vorsichtig rückwärts, in nicht einsichtbare Kurven, wo vielleicht schon der Nächste von hinten kommt, hoch oder runter fahren, so lange, bis man eine der kaum wahrnehmbaren Buchten zum Ausweichen findet, und der Bus oder was auch immer sich Millimeter für Millimeter am eigenen Fahrzeug vorbei schlängelt. So überlang, wie dieser Bandwurmsatz, kommt einem dann der Weg vor. Schon beim bloßen Zusehen brach mir der Schweiß aus. Einmal erlebten wir das selber auch mit dem Bus auf einer Straße, die keine war. Aber auch andere haarsträubende Situationen sind anscheinend völlig normal.
ICH DA FAHREN? - NEVER EVER!
Wichtig! Man sollte in Cornwall sein Navi nie nach dem kürzesten Weg fragen. Lieber ein paar Kilometer mehr fahren, als ein paar Kilo Nerven verlieren.
Übern Berg, schön an die blühenden Büsche am Hang neben der Straße gepresst, erreichten wir Port Isaac. Hier wimmelte es in den verwinkelten, engen Gassen von Touristen. Dazwischen quetschten sich Laster mit Fisch, Einheimische und unerschrockene Caravans, die mit eingeklappten Seitenspiegeln vor-und rückwärts rollten und eine Schneise suchten. Denn Gegenverkehr, Nase an Nase, ausweichen, - geht nicht, da steht auch schon einer, aus der Seitenstraße kommt auch einer, Chaos total = normal. Nix für uns vons Dorf...
Aber das Pub war was für uns, spätnachmittags, als wir zurückkamen. Alle Tische draußen waren ständig besetzt, nach drinnen wollten wir nicht, dafür war das Wetter zu schön. Aber dann gab's da noch den Biergarten, wie wir das hier nennen würden. Mit Sonne pur und Blick durch eine Lücke in der Hecke auf die See. Ich liebte diesen Platz. Auch, wenn er für deutsche Verhältnisse mächtig teuer war. Mein Finanzminister brauchte wieder eine Weile, um sich an die englischen Preise zu gewöhnen....
Unser Cottage war echt urig. Es war eines der Green Door Cottages, das Torca. Alt, mit aufsteigendem Fußboden im Wohnbereich, aber picobello sauber und gepflegt. Auch die Küche war komplett eingerichtet. Da fehlte nichts. Und unsere Betten, die fast den ganzen Schlafraum ausfüllten, waren bestückt mit super guten Matratzen. Wir haben wunderbar entspannt geschlafen und hatten morgens keinen „Rücken“. Von dem zweiten Schlafzimmer aus ging eine Türe nach draußen in den Innenhof mit Tischen und Stühlen für die Großen und Sandkasten für die Kleinen.
Kann ich nur empfehlen: www.greendoorcottages.co.uk.
Montags fuhren wir Richtung Tintagel. Dort, auf einem Felsen, befinden sich die Ruinen des alten Castle vom sagenumwobenen King Arthur (der mit der Tafelrunde). Der Weg dort hin auf fast richtigen Straßen war ein Erlebnis. Nicht etwa, dass man den Hals verdrehen und rechts und links weit ins Land gucken konnte, nein, das war nicht möglich. Es war eher ein berauschender Tunnelblick. Neben uns, über uns Dschungel-Grün, leuchtende Farben, dazwischen goldene Sonnenstrahlen und ab und an blitzte der strahlend blaue Himmel dazwischen. Am auffälligsten waren riesige, lilafarbene Rhododendren, die über und zwischen alten Bäumen und jungem Grün wucherten. Was für ein Land! Aus Felswänden hingen tausende Klematisknospen, wilde Gladiolen blühten, Feldblumen wie Margeriten und Kornblumen, ganze Hecken aus Blumen in pink, blau und gelb, die wir nicht kennen. Schön, einfach nur schön, dieses Cornwall. - Wenn man denn nicht selber fahren muss.
Nach etwa einer halben Stunde hatten wir das Örtchen Tintagel erreicht.
Die Ex-Residenz von King Arthur schien ganz weit hinten im Meer zu liegen. Auf einem großen Felsen. Aber der Weg dahin??? Ein steiler Feldweg runter ins Nirgendwo und dann, ganz weit dahinten, irgendwo, schienen ameisenkleine Menschen durch die Felsen zu kriechen, schien es.
Und da sollte ich hin? Ich Hömmel?
Ich bestand auf Bustransfer.
Da meine Familie das kennt und sich schon seit Jahren standhaft weigert, mich zu tragen, stimmten sie vorsichtshalber sofort zu. Seltsam, mit dem kleinen Shuttlebus dauerte es nur ein paar Minuten, bis er uns am Fuß des Felsens wieder ausspuckte.
Ich sah mich um. An mehreren Stellen kletterten die Leute bergan. Über so was ähnliches wie Stufen. Treppen konnte man das kaum nennen.
Meine Tochter sah mich zweifelnd an: „Schaffst du das, oder brauchen wir hinterher vielleicht einen Hubschrauber, um dich von oben wieder runter zu bringen?“
Adrenalin drängte meine eigenen Bedenken zur Seite. „Ich schaffe!“ Und ich stieß meinen Stock in die Luft. „Auf geht’s!“
Schwindelerregende, steile Felsstufen in den Himmel, zum Glück mit einem Geländer links. Von oben kamen Menschenschlangen, die sich auf dem schmalen Pfad nur am Fels entlang hangeln konnten. Bei dem Gedanken, wie ich mit meinem Stock, ohne Geländer auf der Felsenseite, dafür aber mit Gegenverkehr da wieder herunter kommen müsste, wurde mir doch kurz ganz anders.
Was soll ich sagen? Je schwieriger die Wege, desto besser wurde ich. Und es lohnte sich absolut. Die Aussichten von oben waren einfach grandios und jede Anstrengung wert. Ich denke, ich lasse einfach die Fotos sprechen
Obwohl ich abends ein wenig müde war, denn ich war auch noch den ganzen langen Rückweg bis ins Städtchen auf eigenen Füßen gegangen, war ich total stolz auf mich. Entweder geschah gerade ein Wunder, oder die Magnetbehandlung hatte mir neue Kräfte beschert. Wie auch immer, ich war regelrecht euphorisch.
Nur so kann ich mir meine coole Antwort erklären, als unsere Tochter mit einem Prospekt wedelte und zum Spaß fragte, ob das nichts für mich wäre. Sie kicherte.
Ich schaute: NOW JUMP OFF A CLIFF! - ON THE UK'S MADDEST ZIP WIRE, SOAR OVER THE FLOODED QUARRY – TWO CABLES – 50 m HIGH – 490 m LONG::::Die Fotos zeigten lustig lachende Leute, die ganz entspannt, lachend und winkend in einer Art Geschirr übers Wasser sausten.
„Klar, mach ich mit“, sagte ich. Es dauerte einige Sekunden, bis Babs Gehirn diesen kleinen Satz verarbeiten konnte. Dann zog ein Strahlen über ihr Gesicht, und sie flog hoch: „Wow! Mutti, wir Beiden!“
Und schon waren wir online gebucht.
Ich machte mir keine Gedanken und noch weniger Sorgen. Es gab keine Altersbeschränkung, na ja, fast keine: zwischen zwei und vierundneunzig Jahren war alles erlaubt. Und gewichtsmäßig zwischen fünfundzwanzig und hundertfünfzehn Kilo. Da passte ich doch überall locker rein.
In der Nähe von Liskeard erreichten wir Adrenaline Quarry, und plötzlich stand ich an einem Holzzaun Auge in Auge mit der Wirklichkeit. In dem Moment wurde mir doch irgendwie ganz anders.
Barbara füllte im Büro für uns beide die Formulare aus. Wahrscheinlich sicherten sie sich damit gegen alles ab. Wir können nix dafür, wenn du absäufst, das Seil reißt, du kopfüber durchs Wasser pflügst, du stirbst......Ich unterschrieb blind. Wollte gar nicht wissen, was da alles stand.
Wir wurden eingeschnürt wie Ackergäule oder wertvolle Frachtpakete. Handfestes Leder. Der junge Mann zog und zog. Immer noch ein bisschen enger. Fester. Panisch sah ich zu meiner Tochter:
„Ich kann nicht mehr atmen, krieg – keine - Luft...“ Ob ich schon blau angelaufen war?
„Ich auch nicht“, flüsterte sie luftlos und versuchte zu kichern: „ich hab gar nicht gewusst, dass ich so'ne Taille habe...“
Dann waren wir dran. Zuerst aber auf die Waage. Was die anzeigte, konnte nur mit dem massiven Geschirr zusammenhängen. Oder das Teil war durch den regen Gebrauch kaputt.
Jedenfalls erfüllte ich mit dem Gewicht, das die Waage mir entgegen grinste, die Voraussetzungen, allein mit mir selber zu fliegen. Ich brauchte keinen zusätzlichen Gewichtskanister....
Zwei Stufen hoch aufs Podest. Wie aufs Schafott. Dort warteten die Henker schon mit ihren Karabinerhaken. Babs wurde rechts aufgehängt – ähm: angehängt natürlich, ich links.
Meine Henkersfrau wollte irgendwas von mir und fuchtelte mit dem Haken. Ich verstand kein Wort. Konnte sie mich nicht hängen?
„Zehenspitzen!“ schrie es aus den seitlichen Kulissen unten am Zaun. „Geh auf Zehenspitzen!“
Mein Mann?
Die Henkerin wurde auch langsam ungeduldig.
Was wollen die alle von mir? „Ich versteh kein Wort“, jammerte ich Richtung Kind.
„Steig einfach aufs Podest“, rief sie. „Du bist zu klein!“
Dabei sind wir gleich groß. Phh.
Aufs Podest für Kinder und Kleine?
Na gut.
Endlich hing auch ich am Karabinerhaken, der mich augenblicklich, als ich wieder auf der Plattform stand, leicht von den Füßen hob.
„Zieh die Knie an! So!“
Und schon flog sie, angeschubst von ihrem wer auch immer, über den Abgrund. Lachend, winkend....mit einer Hand...
Noch bevor ich richtig realisieren konnte, wie mein Kind dort nur an so einem Seil hing über tiefem, schwarzem Wasser, merkte ich plötzlich, wie ich nach hinten gezogen wurde, sozusagen Anlauf bekam und schon-----------------------
Ich flog. Unter mir der steile Abgrund...... Ich klammerte mich so fest an das Stahlseil, dass es sich tief in die Haut bohrte. Ständig die Vision vor Augen, die Barbara mir lachend ausgemalt hatte: Mutti, ich seh dich schon, wie du kopfüber durch den See pflügst.....
Schon schnell hatte ich Töchterchen erreicht, flog neben ihr, drehte mich ohne mein Zutun, vor und zurück, schemenhafte Konturen flogen seitlich an meinen brillenlosen Augen vorbei. Ich schoss an Barbara vorbei auf das Seeende zu. Hoffentlich konnten die da an Land meinen rasenden Flug stoppen, nicht, dass ich zurück auf den See katapultiert wurde...?
Sie konnten.
Als ich befreit von dem Ledergeschirr endlich wieder frei durchatmen konnte und auf festem Boden stand, mein Kind neben mir, kehrten meine Energien frisch durchgepustet mit voller Power zurück.
Und ich war stolz auf mich. Wahnsinnig stolz.
„Siehste, war doch gar nicht schlimm, oder?“ Klar, für Babs nicht. Sie hatte schon immer alles solche Sachen gemacht, die ich vorher gar nicht wissen durfte. Für mich war es aber auch nicht schlimm gewesen. Nur – wenn ich es gleich danach noch einmal gemacht hätte, hätte ich es unbeschwert genießen können. So war ich schon sehr verkrampft gewesen.
Aber immerhin.
Dieser Tag war vollgepackt mit Erlebnissen. Wir kamen durch ein Dorf namens „Minion“, nördlich von Liskeard. Ob die kleinen Minions von dort stammen? Wir parkten das Auto und gingen Richtung Bodmin Moor. Hier sollten drei Steinkreise stehen, die Hurlers. Ich liebe Steinkreise. Sie faszinieren mich.
Schon bald erhoben sich vor uns in dem moorigen Gelände die uralten Steine, teils verwittert, teils aus der Ewigkeit für die Ewigkeit gemacht. SSW nach NNO. Der Legende nach spielten hier vor Urzeiten Männer und Frauen an einem kirchlichen Feiertag das Spiel Hurling. Zur Strafe wurden sie in Steine verwandelt.
Ein heftiger Wind blies aus Richtung See über das flache Moor. Obwohl die Sonne schien, war es irgendwie kalt zwischen all diesen Monolithen. Ein bisschen so, als wehe der Wind aus der Vergangenheit hier in der Ebene zwischen den Steinen.
Wir fuhren weiter. In Rock an der Küste gönnten wir uns im Blue Tomatoe einen fürstlichen Snack. Ich hatte einen absolut göttlichen Salat. Der Finanzminister Tränen in den Augen.....
Eigentlich wären wir noch gerne mit der kleinen Fähre übergesetzt, aber es war schon zu spät. So schlenderten wir nur noch kurz über den Strand, bevor wir uns auf den Heimweg machten.
Für Mittwoch, den 1. Juni 2016, hatte unsere Tochter uns einen Tisch bei Nathan's Outlaw in Port Isaac gebucht.
Der Nathan ist ein Fernseh- bekannter Koch und hat hier in Port Isaac zwei Fisch-Restaurants. Eins am Ortseingang, wenn man übern Berg aus Port Gaverne kommt und eins mitten im Ort in einem uralten, geschichtsträchtigen Haus direkt am Hafen. Dort hatten wir für halb drei einen Tisch.
Barbara und Gareth schwärmten mit verdrehten Augen. Sie hatten sich im vorigen Jahr in dem ersten Restaurant ein Essen geleistet. Der Chef selber war da und hat für sie gekocht. Stundenlang bekamen sie Häppchen, eins delikater als das andere und dazu immer die passenden Getränke. Es muss ein absolutes Erlebnis gewesen sein.
Aber bis halb drei war noch Zeit.
Die Sonne strahlte wie jeden Tag, und wir beschlossen, einen Spaziergang über die Klippen zu machen. Rechts vom Hafen kommt man, wenn die Flut noch nicht zu hoch ist, auf die Felsen. Grob behauene Stufen, wilde Blumen, eine kleine Holzbrücke, nacktes Gestein. Gewaltige Schieferplatten, von Urgewalten zu Urzeiten aus dem Wasser katapultiert, schichtweise gestapelt. Wilde, überwältigende Natur. Und über allem tobten hunderte von kreischenden Möwen.
Paddelboote mit offensichtlich Anfängern darin versuchten sich in dem noch nicht zu tiefen Wasser der hereinkommenden Flut zu halten. Für uns von oben schienen sie klein wie bunte Zwerge. Ab und an kippte ein Boot oder die Ruderer gerieten aus dem Takt. Sie durften auch nicht zu nah an die Sprungfelsen heran kommen. Ja, hier gibt es Felsenspringer. Wie in Acapulco. Aber sie tragen vernünftigerweise Schutzwesten und Helm, im Gegensatz zu den Springern in Mexiko, die nur mit ihrer Badehose bekleidet sind.
Ich hätte ewig hier bleiben können: der unverwechselbare Duft des Meeres, das leise Schlagen der kleinen Wellen, die Farbenpracht an wild blühenden Hecken längs der Uferstraße gegenüber, dazwischen das Wasser mit seinen intensiven Farben von seegrün bis tiefblau. Das satte Gras, gespickt mit Blümchen, zwischen den rauen Felsen; das Wasserrauschen in den ausgewaschenen, dunklen Höhlen. Und über uns die Sonne und ein tiefblauer Himmel.
So stelle ich mir das Paradies vor.
Ich kann die Schönheit Cornwalls nicht genug beschreiben. Deshalb stelle ich ganz viele Fotos mit ein.
Nachdem Barbara und Gareth noch in eine Art finstere Schlucht hinab gestiegen waren, wo ich mich angsterfüllt abwenden musste, machten wir uns langsam auf den Rückweg. Doch bevor wir die Klippen endgültig verließen, hatten wir noch ein ganz süßes Date mit einem zahmen Rotkehlchen. Es flog auf die Lehne einer knorrigen Bank, die irgendwann irgendeine barmherzige Seele zum Ausruhen von Wanderers müden Knochen aufgestellt hatte. Es hockte da, guckte uns mit schräg geneigtem Kopf an, schien zu überlegen, hüpfte dann runter auf die Sitzfläche, einen knappen Meter von uns entfernt und schien zu fragen: habt ihr nichts Leckeres für mich?
Es guckte auf die leere, ausgestreckte Hand meines Mann, schien das Köpfchen zu schütteln und flog von dannen. Um dann abends im Biergarten des Pub wieder aufzutauchen...
Das war übrigens sehr auffallend: selbst die Tiere hier sind friedlich und harmonisch. Jeder, echt fast jeder, hatte mindestens einen Hund. Entweder an der Leine oder frei laufend. Und nicht ein Tier machte Rabatz, sie akzeptierten einander, es gab keine Machtkämpfe, kein Gekläffe oder Gejaule, kein Ziehen – und auch nirgends Hundehaufen. Es war ein Phänomen. Keine Dog-Stations zum Entsorgen der Hinterlassenschaften, keine schwarzen Tüten in Halterhänden, aber auch nirgends Tellerminen. Die Einzigen, die ihre Exkremente frei durch die Gegend streuten, und das nicht zu knapp, waren die Möwen.
Und dann, endlich, ging es auf halb drei. Langsam machte sich auch der kleine Hunger bemerkbar. Noch ein kleiner Drink in einem uralten Pub, und dann ab ins Nathan Outlaw.
Wir entschieden uns für die Auswahl, die unter Outlaw's Fish Kitchen to share angeboten wurde.
Eine Fisch-Kleinigkeit war delikater als die nächste. Mein absoluter Favorit war der Hering: Pickles Herring, Red Onion, Orange & Chervil Dressing ( Foto folgt )
Da Babs sich gleich an Ort und Stelle zwei von Nathans Kochbüchern gekauft hat, besitze auch ich jetzt das Rezept. Und noch viele andere. Auch für die Herstellung der verschiedenen Öle und Dressings ... Hmmmmm!
Gut, dass wir noch einen Verdauungsspaziergang nach Hause machen mussten ...
Im Pub, unter noch immer strahlender Sonne, mit Blick durch die Hecke auf den Atlantik, dem Robin, der wieder um uns herum hüpfte und dem Duft der Blumen, ließen wir diesen herrlichen Tag langsam ausklingen.
Land's End ist ein absolutes Muss. So steht es in Büchern und Reiseführern.
Also fuhren wir Donnerstag am frühen Vormittag los. Ist eine ganze Ecke weg von Port Gaverne. Aber wir fütterten das Navi mit einer Route, die auch Straßen beinhaltet, damit wir nicht den ganzen Tag über winzigste Wege geführt würden.
Wie immer war der Weg das Ziel. Denn natürlich kamen wir trotz allem auch wieder über „Sträßchen“. Da wir selber ja nicht fahren mussten, konnten wir uns in aller Ruhe an der Pracht der bunten Vielfältigkeit der Vegetation erfreuen.
Das war übrigens herrlich. Wir, die Oldies, saßen hinten wie früher die Kinder. Ohne Pflichten, Verantwortung, Entscheidungen. „Everything's ok, kids?“ Ist gar nicht verkehrt...
Eine Straße führt letztendlich zum westlichsten Ende der englischen Welt. Wir waren gespannt, aber je näher wir kamen, desto länger wurden unsere Gesichter. Eine Straße, kein Wunder, denn sie endete vor einer Schranke: Parkplatz bezahlen, sonst nicht rein.
Parkplatz riesengroß, hunderte von Autos. Gegenüber Parkplatz für Busse. Allein neun Busse mit deutschen Kennzeichen und deutschen Reiseunternehmer-Namen. War hier Kirmes???
Bisschen draußen rumlaufen war das Einzige, was nichts kostete. Wir entschieden uns für Laufen und Gucken. Viel war eh nicht zu sehen.
Der Himmel hatte auch keinen Bock. Statt wie überall in Cornwall himmelblau zu leuchten, hing er lustlos grau über dem Meer herum. Der Leuchtturm wirkte auch nicht viel lebendiger.
Und überall deutsche Touris. Eine dicke Tante, die ein ebenso dickes Sandwich mampfte, tat ihrem Mann lautstark ihre Meinung über die vorübergehenden Mitmenschen kund. In Deutsch. Versteht ja hier keiner....
Wir trabten hierhin und dorthin, zum Wasser, die Klippen entlang, und dann schauten wir uns an: „nee, also echt, da gibt es aber wesentlich schönere Ecken in Cornwall.“ Und schon saßen wir wieder im Auto.
In Sennen, am ersten/letzten Pub von Land's End hielten wir an. Ein uriges, sehr altes Gemäuer mit dem Namen: First & Last Inn, one of the most legendary Inns in Britain. Viele schaurige Geschichten ranken sich um dieses Pub. Ich habe noch mal kurz im Internet nachgelesen, allerdings steht es da etwas anders als auf dem Schild in der Kneipe. Ich erzähle mal so, wie die Website es erzählt:
Also, Tatsache ist, dass früher hier kräftig geschmuggelt wurde. Durch einen tiefen Tunnel wurden die Waren ans Meer beziehungsweise an Land gebracht.. Noch heute zeigt eine Dickglasplatte im Eingangsbereich das Einstiegsloch.
Das Ganze konnte natürlich nicht verborgen bleiben. Also mussten die Pub-Betreiber mitspielen.
Zirka 1620, als der reiche Landlord Williams hier das Sagen hatte, betrieben Annie und Joseph George die Kneipe. Joseph fungierte als Williams Schmuggelagent, aber wichtiger war noch, dass er und seine Frau freies Wohnen in der Kneipe hatten als Gegenleistung fürs Maulhalten. Das ging eine ganze Weile gut, bis das Gerücht umher ging, dass der Landlord sie aus dem Pub werfen wollte. Da wurde Annie so wütend, dass sie ihn an die Krone verriet und er hinter Gittern landete. Das reichte ihr aber noch nicht und sie machte immer weiter, bis sie mit dem ganzen Dorf verfeindet war. Selbst ihren eigenen Schwager zeigte sie an, er wurde gehängt.
Das konnte natürlich nicht ungestraft bleiben. Die Dorfbewohner schleppten sie bei Ebbe an den Strand, packten sie in Fischernetze und ließen sie in der Flut sterben. Dann brachten sie sie in ihr Schlafzimmer, bevor sie später in der Nähe des Pub verscharrt wurde.
Noch heute hat sie im Inn ihren eigenen Raum und will nicht, dass jemand anders darin schläft. Sonst fängt sie an zu spuken. Noch immer kursieren viele unheimliche Geschichten um Annie. Vielleicht ist diese auch nur eine von Vielen...
Aber unheimlich oder nicht: das Essen war sehr lecker...
Ganz in der Nähe liegt das bekannte Minack Theatre.
Ein einzigartiges Freilichttheater inmitten einer überwältigenden Naturkulisse. Wie ein riesiges Vogelnest hängt es direkt im Felsabhang über der See. Aber leider duften wir nicht bis dort. Es war abgesperrt. Eine ausverkaufte Aufführung, die wohl gerade lief, und ein geschlossener Schlagbaum zwangen uns, umzukehren. Schade, dafür, dass wir heute stundenlang gefahren waren und uns so viel erhofft hatten, war es doch ein wenig enttäuschend: Land's End – eine überlaufene Touristenküste mit Jahrmarkt-Charakter und dieses wunderbare, einzigartige Theater – geschlossen.
Kurz überlegten wir, ob wir nicht noch nach St. Ives reinfahren sollten oder Penzance – aber es zog uns alle nur noch heim in unser wunderschönes Port Gaverne, wo im Pub sicher schon ein kaltes Bier auf uns wartete.
Und die strahlende Sonne,
der Blick durch die Hecke auf die See,
der Duft der unzähligen Blumen,
unser zutrauliches, kleines Robin,
und zuhause der frische Fisch, den wir noch zubereiten wollten,
dazu der leckere griechische Salat von Gareth
und in den Supermarkt mussten wir auch noch ...
Der letzte Urlaubstag brach an mit Schrecken. Ein Rettungshubschrauber war auf dem Strand gelandet, ein Krankenwagen, Polizei...
Weit draußen auf dem Ebbe-Strand banden Rettungskräfte eine Gestalt auf eine Trage und brachten sie nach vorne. Aber nicht in den Hubschrauber. Ob einer der Felsenspringer falsch gelandet und auf Fels gestoßen war? Was mochte da passiert sein? Wir wollten auch nicht neugierig dabei stehen und wandten uns ab, um ein letztes Frühstück in unserem Cottage zu essen.
Als wir später aufgeräumt und gepackt hatten, machten wir uns auf den Weg, ein letztes Mal über'n Hügel nach Port Isaac zu laufen.
Wenn ich daran dachte, welche Mühe mir der Weg beim ersten Mal gemacht hatte...
Port Isaac war wie immer proppenvoll. Es war einfach faszinierend zuzusehen, wie PKW, LKW, Wohnmobile und sogar ein Linienbus sich durch die engen Sträßchen, die den Namen nicht verdienen, mit den vielen Fußgängern durch schlängelten. Vor und zurück: du ein bisschen zurück um die Ecke, ich dann vor, dann der von da vorne, der ist schon ungeduldig, aber erst hupen, damit jemand die alte Lady im Rollstuhl zur Seite schiebt..... Da geht es oft echt nur um Millimeter.
Unsere Babs erzählte, als sie vor Jahren zum ersten Mal hier Urlaub machte, mit Auto!, stand sie genau hier am Hafen, wo es im rechten Winkel bergan geht, genau in der Kurve einem anderen großen Wagen gegenüber. An dieser Stelle ist ein Ausweichen praktisch unmöglich. Dass sie dabei Blut und Wasser geschwitzt und um ihr schickes Auto gebangt hat, konnten wir lebhaft nachvollziehen. Ich wiederhole mich hier noch einmal gerne: ICH? NEVER EVER !!!!!!!
Es war noch immer Ebbe. Wir liefen hinaus Richtung Hafeneingangs-Mauern. Seltsames Gefühl, zu laufen, wo sonst Schiffe im Wasser treiben. Ich wunderte mich über die langen, dicken Ketten, die auf dem trockenen Meeresboden lagen. Aber es war ja eigentlich klar, mit diesen Stahlseilen werden die Schiffe angekettet, die hier auf dem Trocknen stehen, damit sie nicht abgetrieben werden, wenn die Flut steigt. Na ja, woher soll ich das so schnell wissen, ich bin von 's Land-End, aus Emmerich.
Die Sonne stand schon hoch, es wurde immer wärmer, und ich war froh, dass ich morgens nur ein Top angezogen hatte. Schon beim Anstieg links entlang des Hafens, neben den duftenden Hecken her, brach mir der Schweiß aus. Der Blick durch die Blumen hindurch hinunter in die Bucht ohne Wasser war wie immer wunderschön. Die Möwen kreischten wie immer – und ich wusste: ich werde es vermissen! Vorbei an (wahrscheinlich) Ferienhäusern stiegen wir bergan. Das kleine Haus zwischen den großen ist das Filmhaus von Doc Martin aus einer englischen Serie und dem Film „Saving Grace“.
Oben angekommen, schauten wir hinunter in die Bucht, nach ganz oben – und uns an. Schon zurück?
Oder - „traust du dich heute, Mutti?“, fragte Babs und wies hoch in den Himmel, wie mir schien. Am ersten Tag hatte ich ja sofort abgewinkt: Da hoch? Ich? Nee, Leute!
Aber inzwischen war ich so fit, dass ich meine Familie immer wieder in Erstaunen versetzte. Ich war Cornwall-rund-erneuert.
„Klar“, sagte ich cool, „let's go.“
Auf den ersten Blick hatte ich gar nicht gesehen, dass die Stufen locker 30-40 cm hoch waren. Das ist fast ein Viertel meiner Gesamtgröße!
Die Männer gingen vor, Babs sorgenvoll neben und hinter mir. Sie nahm meine freie Hand, stützte und zog. So gelangte auch ich schließlich ganz oben an, wo ich Aug in Aug mit dem unendlichen blauen Himmel erst mal nach Luft schnappte.
Die Aussicht auf die Bucht tief unter uns und den Ort mit den winzigen Menschen war umwerfend. Wir liefen über die Hügelkuppe mit Gras und Millionen Blümchen am Rand weiter, bis wir vor einer Schlucht standen. Im Laufe der Jahrtausende hatte das Meer tiefe Höhlen in die Felsen gewaschen. Kein Architektengehirn hätte sich so eine überwältigende Kulisse erdenken und bauen können.
Für eine kurze Weile legten wir uns am Hang ins Gras und genossen einfach nur mit geschlossenen Augen und weit offenen Sinnen die Wärme, den Duft und die Stille. Nur die Möwen kreischten. Aber das gehört einfach dazu. Ansonsten ist die Kulisse nicht perfekt.
Nachdem ich auch noch den Abstieg geschafft hatte, war ich eigentlich fit und bereit für neue Abenteuer in den Hügeln Cornwalls. Aber es war unser letzter Tag hier. Gegen Abend wollten wir zurück fahren.
An der schmalen Küstenstraße runter nach Port Isaac konnten wir durch die Hecken und Blumen sehen, dass zwischenzeitlich die Flut eingesetzt hatte, und die Boote, die vormittags noch auf dem Trockenen gelegen hatten, jetzt wieder frei im Wasser schwammen. Auch die Felsenspringer kletterten bereits wieder über die Klippen, um zu ihrem Absprung zu kommen.
Wir gönnten uns noch ein leckeres Eis und nahmen einen langen, abschiednehmenden Rundumblick, bevor wir uns auf den Weg nach Port Gaverne machten.
Gareth lief gleich durch zum Cottage, um sich noch ein wenig auszuruhen vor der langen Heimfahrt. Wir anderen steuerten schnurstracks das Pub an. Ein einzelner Tisch im Biergarten war noch frei. Jetzt fiel uns auch wieder der Rettungshubschrauber von morgens ein und Babs erkundigte sich drinnen, während sie auf die Bestellung wartete. Gottseidank war nichts Schlimmes passiert. Ein Junge war ein bisschen unglücklich vom Felsen gesprungen. Er hatte sich nicht wirklich verletzt, aber vorsichtshalber hatten die Erwachsenen die Rettung angerufen. Und weil es hier auf diesen Straßen wesentlich länger dauert, bis ein Krankenwagen es zur Unglücksstelle schafft, kommt gleich der Hubschrauber.
Wir saßen noch, bis die Nachmittagssonne lange Schatten warf und es für uns Zeit wurde, alles für die Abfahrt vorzubereiten. Zwar zeigte die Verkehrs-App auf dem I-Phone noch immer rappelvolle Straßen und Staus auf den Straßen nach Norden, aber bis wir die Autobahn erreichen würden, so hofften wir, wären die meisten vielleicht schon durch. Mitternacht würden wir hoffentlich zuhause sein.
Während zuhause in dieser Woche teils schreckliches Weltuntergangswetter geherrscht hatte, waren wir von warmer Sonne verwöhnt worden. Wetter, das zu Cornwall passt. Einfach nur schön.
Fotos: teils Barbara Wise, die anderen von mir.
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Barbara Wise (Sonntag, 19 Juni 2016 23:12)
Schöne Geschichte, fast ist man wieder da. War ein toller Urlaub, und jetzt ist er auf immer erhalten. Xx
Rosa (Dienstag, 28 Juni 2016 22:57)
Liebe Christel,
da staune ich über so viel Energie und Mut, den Du an so manchen Tag gelegt hast :-) Ich glaube, ich hätte mich nicht getraut, solche Sachen zu machen, die Du 'angestellt' hast ... Keine Höhenangst? ... Die hätte ich nicht überwinden können.
Aber sehr schön alle Abenteuer beschrieben und die Bilder sind einfach herrlich - nicht nur atemberaubender Natur wegen, auch die Fotos mit Deiner Familie haben mich sehr berührt ... Ihr hattet unvergessliche Tage erlebt, Du warst glücklich mit Deinen Lieben und Deine Lieben - mit Dir. Einen besseren Urlaub kann es doch gar nicht geben :-)
Herzliche Grüße von den Zweien aus Hemer,
Rosa
Ingrid Wolters (Donnerstag, 23 Januar 2020 13:04)
Ein toller Bericht! Macht Lust dieses besondere Land am Meer zu besuchen!
Liebe Grüsse
Ingrid aus Hückelhoven